Stellungnahme zum IOCH/ED-Komplex von Dr. Herbert Müsch

Stellungnahme mit Schwerpunkt Genetik zum IOCH/ED-Komplex  beim DW bzw. zu den Listen der Tierärztlichen Hochschule Hannover und von Dr. Schunk

Zusammenfassung

ANLASS: Im Zuge der Diskussionen um IOCH/ED und nach dem Auftauchen der entsprechenden Listen der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) und von Dr.  Schunk wurde eine Prüfung insbesondere unter genetischen Gesichtspunkten veranlasst.

HISTORIE: 2002-2003: Untersuchungen zur IOCH an der TiHo und nach Abbruch dort bei Dr. Schunk. Der Anteil positiv befundeter IOCH-Hunde  wurde mit 11,4% (TiHo) bzw. 4,4% (Schunk) angegeben; aufgrund des „geringen Einflusses auf die Population“ habe der Verein die Untersuchung beendet (DWZ 12, 2003, 356). 2010: Das ED/IOCH-Röntgen wird für Zuchthunde obligatorisch. 2014: Änderung des Anstellwinkels beim Röntgen, um IOCH besser zu diagnostizieren.

LISTEN: Die vorliegende TiHo- bzw. Schunk-Liste enthält insgesamt 88 bzw. 85 Hunde. Als nicht auswertbar werden die Röntgenaufnahmen von 2 bzw. 16 DW angegeben. Ein IOCH-positiv bewerteter Hund erscheint in beiden Listen; er wird aus der TiHo-Listen-Bewertung heraus genommen.

In der TiHo-Liste sind i.d.R. neben DW-Zuchtbuchnummer und Namen noch andere Identifikationsdaten erfasst. Zwei IOCH-befundete Hunde mit unvollständigen Angaben sind nicht identifizierbar, zwei weitere mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert. Die Schunk-Liste nennt DW-Zuchtbuchnummer und Namen. Die TiHo-Liste benennt neben IOCH auch verschiedene ED-Formen sowie Operationen etc., während die Schunk-Liste i.d.R. auf IOCH beschränkt bleibt. „Rohdaten“ (Röntgenbilder etc.) zur TiHo-Liste befinden sich z.T. noch bei der damaligen Versuchsleiterin, Frau Prof. Meyer-Lindenberg (heute Universität München), sie konnten dort eingesehen und besprochen werden. Rohdaten zur Schunk-Liste standen keine zur Verfügung – es wurde ein Telefongespräch mit Dr. Schunk geführt.

METHODE DER AUSWERTUNG: Aus der TiHo-Liste wurden operierte Ellbogen mit IOCH-Verdacht (IOCH?Fx., v.IOCH.Fx) als IOCH gewertet. Die verschiedenen ED-Formen wurden inkl. DC zusammen gefasst. Bei Mehrfachbefunden wurde nur der jeweils „stärkere“ bewertet; IOCH vor ED. Zwischen ein- und beidseitigen Befunden wurde nicht differenziert. Bei der anteiligen Angabe (%) der positiven Befunde wurden die (beidseitig) nicht auswertbaren Fälle aus der Gesamtzahl der Fälle heraus gerechnet.

ERGEBNISSE:

IOCH        v.IOCH         ED         v.ED       nicht auswertbar       Fälle

 

TiHo                              16                 2              5               4                   (2)       85 (87)

ca %          19               2,4            5,9            4,7                (2,3)

 

Schunk                           3                 1             k.A.           k.A.                (16)               69 (85)

ca %         4,3               1,4                                                    (19)

 

v.: Verdacht; k.A.: keine Angaben

 

TiHo-Liste: Von den 14 identifizierten, positiv befundeten IOCH-Hunden (9  Braune, 5 Braunschimmel/-schecken/Helltiger) sind 10 Rüden und 4 Hündinnen. Ein Hund ist mit Nachkommen verzeichnet. Schunk-Liste:  Von drei IOCH-positiv bewerteten Hunden (alle braun, alle Rüden) gibt es von einem Nachkommen.  Auffällig ist der ca. 19%ige Anteil nicht auswertbarer Fälle. Beide Listen: Unter den 17 identifizierten, IOCH-positiven DW befinden sich 12 Braune und 5 Braunschecken/-schimmel/HT sowie 13 Rüden und 4 Hündinnen.

DISKUSSION DER ERGEBNISSE: Auf Grund der teilweisen „Vorselektion“ von Hunden mit IOCH / ED-Krankheits- oder Verdachtsmerkmalen dürften die betroffenen DW aus der TiHo-Liste deutlich überrepräsentiert sein, im Vergleich zur Gesamtpopulation. Die Aussagefähigkeit der Schunk-Liste bleibt in dieser Hinsicht unklar, da keine ausreichende methodische Nachvollziehbarkeit gegeben ist. Zur ED liegen dort keine systematischen Informationen vor. Im Gegensatz zur TiHo-Liste lässt die IOCH-Erfassung seit 2010 (Dogbase) darauf schließen, dass dieser Defekt deutlich unterrepräsentiert ist, gemessen an der Gesamtpopulation. Die neuere Datenlage dürfte für die ED ein zuverlässigeres Bild als für die IOCH widerspiegeln, da aus dem seit 2010 obligatorischen Röntgen für Zuchthunde zunächst eine höhere „Trefferquote“ für ED als für IOCH resultierte.  –

Folgende Konstellation aus der TiHo-Liste legt eine vermutlich direkte Vererbung auf die erste Tochtergeneration (F1) nahe: Mutter mit ED und Verdacht auf IOCH; zwei Nachkommen (Wurfbrüder) mit IOCH. Ein weiterer Wurfbruder mit ED hatte selbst zahlreiche Nachkommen.  Sofern die begrenzte Datenlage den Schluss zulässt, fielen dessen Nachkommen in der F1 und F2 nicht besonders negativ auf. Gleichwohl traten in der F3 dann IOCH- und ED-Befunde auf, die ihrerseits in Bezug zur Nachkommenzahl bzw. zur Inzidenz (Erkrankungen während eines Zeitraumes) der Gesamtpopulation zu betrachten sind. Es lässt sich auch außerhalb der Listen-Hunde das Phänomen beobachten, dass z.B. bei verschiedenen, IOCH (oder ED3) betroffenen DW  bestimmte Vorfahren gehäuft in Erscheinung treten. Meist war die F1 dieser Vorfahren zunächst jeweils unauffällig. Dies lässt auf einen komplexen Erbgang schließen, der seriösen Vorhersagen für ein bestimmtes Individuum entgegen steht. Zudem ist ein zuverlässiger Gentest derzeit nicht in Sicht, nicht einmal die Identifikation eines „major gene“ (Hauptgen, Weisergen) im polygenetischen Zusammenspiel.

Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass die IOCH/ED auf polygenetisch-rezessiven Erbgängen basiert. Selbst unter Berücksichtigung der Heritabilität (Anteil Erblichkeit vs. Umwelteinflüsse)  oder epigenetischer Einflüsse gilt die „klassische“ Vererbung als wichtigste Komponente für diese Defekte. Für 2003 wie für heute lässt sich ableiten, dass der Anteil phänotypisch unauffälliger „Carrier“ (Genträger) um Größenordnungen den Anteil erkrankter Merkmalsträger übersteigt. –

Die weiter oben gezeigten Verteilungen legen nahe, dass braune DW stärker betroffen sind als Schimmel inkl.. Schecken usw., und dass Rüden stärker betroffen sind als Hündinnen. Dies könnte mit unterschiedlicher Heritabilität und/oder mit unterschiedlichen Außenbedingungen (z.B. Wachstum, Gewicht) erklärt werden. Wie dem auch sei: Möglicher Weise sähe es für die Braunen, ohne die vor Jahren erfolgte Liberalisierung der „Mischpaarungen“, noch kritischer aus.

Schlussfolgerungen und Ausblick:

Beim DW kann es nicht mehr darum gehen, IOCH/ED „auszumerzen“, sondern die Phänomene möglichst gering zu halten. Insbesondere die IOCH scheint häufig zu funktionellen und schmerzhaften  Behinderungen zu führen, die einen jagdlichen Einsatz der Hunde zumindest beeinträchtigen. Neben den bereits ergriffenen Maßnahmen wie Ellbogen-Röntgen für Zuchthunde, Änderung des Anstellwinkels usw. sind weitere Vorhaben in der Diskussion oder initiiert. So z.B.: Erhöhung der Röntgenquote; Röntgen-Zentren; quantiative Zuchtwertschätzung; „Warnhunde“;  Zuchtausschluss von DW, die zweimal oder öfter IOCH mit verschiedenen Partnern vererbt haben; „Zugschrauben-OP=IOCH“; Züchterpreise an Röntgenquote koppeln; usw. Vielleicht könnte man sogar unkonventionelle Maßnahmen diskutieren, wie die Übernahme von Röntgenkosten für  IOCH-Geschwisterhunde.

Grundsätzlich sollte im Sinne einer zuverlässigen Datenbasis die Transparenz erhöht und Nachteile  transparent arbeitender Zwinger gegenüber „zurückhaltenden“ Zwingern beseitigt werden.

Eine zeitnahe und konsequente Umsetzung dieser Maßnahmen könnte – in Abhängigkeit von Heritabilität und Transparenzgrad – in absehbarer Zeit zu einer Kontrolle des Phänomens führen.

Frau Prof. Meyer-Lindenberg und Herrn Spexard   danke ich für ihre Unterstützung.

Wennigsen, 27.04.2016
Dr. Herbert Müsch, Diplom-Biologe